Veronika Beckh

Die zerbrechliche Welt der Veronika Beckh und die Glashütte Gernheim

Die Glashütte Gernheim gehört heute zum LWL-Industriemuseum in Petershagen-Ovenstädt. In ihr hat Veronika Beckh von 1998-2004 als Glasmacherin gearbeitet, und hier ist Ende letzten Jahres ihre Einzelausstellung Lumen eröffnet worden.

Glashütten liegen meist an historischen Standorten, ablesbar etwa an einer waldreichen Gegend, weil das Holz früher zur Gewinnung von Pottasche gedient hat, oder sie liegen in der Nähe von Flussläufen und Bahngleisen, auf denen die Glaswaren zu den Absatzmärkten transportiert worden sind. Im Fall von Gernheim zeugt vor allem der weithin sichtbare Glashüttenturm von der Geschichte der Ortschaft, der an englische, im frühen 19. Jahrhundert während der Industriellen Revolution entstandene Vorbilder erinnert und aus einer Ansammlung von Wirtschaftsgebäuden, kleinen Katen und einem „Herrenhaus“ herausschaut. Die Glashütte Gernheim gehört heute zum LWL-Industriemuseum in Petershagen-Ovenstädt. In ihr hat Veronika Beckh von 1998-2004 als Glasmacherin gearbeitet, und hier ist Ende letzten Jahres ihre Einzelausstellung Lumen eröffnet worden. So könnte für sie, die inzwischen viel in der Welt herumgekommen ist und jetzt in Berlin lebt, die Rückkehr an den geschichtsträchtigen Ort nicht nur eine Rückbesinnung auf ihr eigenes Schaffen, sondern gleichzeitig ein Hinterfragen sein, ob ihr gestalterischer Weg Bestand hat.

 

Gleich beim Betreten des Ausstellungsraums fällt der Blick auf die Installation Feld, ein Zusammenspiel auf einer Edelstahlplatte von etwa 10.000 kleinen Opalglasröhren, gefertigt aus Röhren, die am Ofen geblasen worden sind, die die Künstlerin ins entsprechende Format zersägt und deren Ränder sie plan geschliffen hat. Welch verblüffend einfaches Konzept und welch einprägsame künstlerische Wirkung! Ob aus der Nähe oder Ferne betrachtet, der Besucher versenkt sich in das Miteinander von mal transparenten, mal wolkig verschleierten Glasformen, von Licht- und Schattenreflexen, die über die gesamte Oberfläche tanzen, und unwillkürlich denkt er an die sonnenbeschienenen Felder ringsum von Gernheim. Denn lumen, lat., bedeutet nicht nur einfach Licht, sondern auch Tageslicht, Augenlicht, Lebenslicht.

 

Das Spiel mit dem Licht zieht sich durch die ganze Ausstellung. Bei dunkelfarbigen Kugelobjekten scheint es auf der Rundung zu verweilen, bei hellgrundigen schimmert es samtig-matt. Bei ineinander eingepassten Schalen wird es verschluckt, wobei der Blick des Betrachters in die Tiefe gezogen wird. Bei den zu einer Kugel fächerartig eingesteckten Trichtern, den Conical Formations, bricht es sich tausendfach - ein Effekt, der noch dadurch verstärkt wird, wenn das Glas wie bei Conical Formation 02 Craquelé in kaltem Wasser geschreckt, ohne es zerspringen zu lassen und danach wieder verwärmt worden ist. Überhaupt der Blick ins Innere eines Objekts und die Trichter oder Kegel, die in immer neuen Variationen auftauchen: Mal tut sich eine dunkle Höhlung vor dem Auge auf, mal ein blauer Farbfleck auf dem Grund eines Objekts, mal wölben sich unregelmäßige Nuppen unter der Wandung hervor, mal blinken Hohlkegel durch das transparente Glas hindurch. Es ist eindeutig, die Künstlerin sucht die Kontemplation, die Stille bei ihrer Arbeit, und einen der Wege dorthin könnten die konischen Trichter bahnen, die miniaturhaft an den Gernheimer Glashüttenturm erinnern.

 

In einem Gespräch sagte Veronika Beckh kürzlich, sie fürchte am Glas irgendwann zu zerbrechen, vor allem durch ihr Streben nach Perfektion und das ständige Bemühen, ihren Arbeitsplatz blitzsauber zu halten. Zieht deshalb Gernheim sie in seinen Bann, weil der gemauerte Hüttenturm sie gleichsam beschützt, damit sie nicht doch am Glas zerbricht und das Glas mit ihr?

Autorin: Clementine Schack von Wittenau

 

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