Livio Seguso

 

Die Wechselwirkungen von Glas und Licht gehören zu den anerkanntesten Merkmalen der Glaskunst. Wer sich allerdings mit Allgemeinplätzen nicht zufrieden geben möchte, muss bei dem Muraneser Livio Seguso (geb. 1930) in die Schule gehen.

 Er ist der Meister und wird in einem Atemzug genannt mit Stephen Procter und den bedeutendsten tschechischen Künstlern (H. Ricke, Neues Glas in Europa, 1990, Seite 184). Anlässlich seiner Ausstellung in Freudenstadt (D) sprach GLASHAUS mit dem Künstler über seine Projekte. Segusos Antworten lesen Sie im Originalton am Ende dieses Beitrags.

 

GH: Immer wieder taucht in Ihren Werken die Kreis- oder Kugelform auf.

 

LS: Die Kugelform ist für mich zuerst ein Symbol des Lebens. Seit 1968 beschäftige ich mich mit den Problemen der plastischen Form. Dabei konzentriere ich mich auf die menschliche Gestalt, die vom Tag der Empfängnis an auf die Bildung des Körpers hin angelegt ist. So beschloss ich, dieses Wunder der Natur in der Formensprache der Embryos und Föten darzustellen. Als Synthese ergab sich die Eiform, welche eine Metapher für das Leben darstellt. Mit fortschreitender künstlerischer Entwicklung habe ich dem weitere formale Lösungen zugesellt bis hin zu geometrischen Formen. Die Lebensthematik durchzieht aber mein gesamtes Schaffen. Und sie ist repräsentiert durch die Kreisform, die im Zentrum meiner Arbeiten steht.

 

GH: Sie haben selten mit Farben gearbeitet, dafür mehr mit dem Licht. Gab es eine Verbindung zu den deutschen ZERO-Künstlern in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts?

 

LS: Zugegeben, es gibt ähnliche Bestrebungen bei der künstlerischen ZERO-Bewegung, in deren Theorien ich mich wiederfinde. Jedoch habe ich schon 1958 die ersten Signale für meine Sichtweise entwickelt und zwar unter zwei grundlegenden Aspekten. Erstens: Der Verzicht auf die Farbe in meinen künstlerischen Äußerungen ist das Ergebnis meiner Einsichten in die charakteristischen Eigenschaften des Materials, das ich in dieser Schaffensperiode benutzte, das Glas. Tatsächlich hat das Glas neben anderen formalen Eigenschaften als fundamentale Besonderheit die absolute Transparenz. In diesem Bewusstsein habe ich meine Wahl getroffen. Zweitens: Darüber hinaus gibt es einen kulturellen Grund in der Tatsache, dass ich auf Murano geboren bin und in Venedig lebe, wo ich Geistesverwandte im „Spazialismus“ fand. Diese Bewegung wurde von Lucio Fontana 1947 in Mailand begründet und kam wenig später nach Venedig. Ihre Anhänger waren Virgilio Guidi, Mario DeLuigi, Tancredi Parmeggiani, Edmondo Bacci, Vinicio Vianello, die Bildhauer Alberto Viani und Bruno De Toffoli sowie andere. Aus dieser Erfahrung stammt ein vertieftes Bemühen um das Verhältnis meiner Formen zu Raum und Licht, die seitdem zu den Grundlagen meines künstlerischen Ansatzes gehören. Darüber hinaus darf ich sagen, dass das Leben in meiner Stadt, deren besonderes Licht überall anzutreffen ist, sei es zwischen den Häusern oder in der Lagune, die Künstler aller Zeiten angesprochen hat. Dies hat auch in mir die emotionale Triebfeder geweckt, an dem kreativen Prozess teilzunehmen, der sich in jedem poetischen Augenblick erneuert.

 

GH: In seinem Beitrag für GLASHAUS (2/2012, S. 4ff.) erinnert Andrea Tosi daran, dass die Kunstkritik Parallelen zur neuzeitlichen Skulptur in Ihren Werken entdeckte. Fühlen Sie sich Brancusi oder Arp verwandt?

 

LS: Ich bin ein zeitgenössischer Künstler, denke aber dass es wichtig ist, die Meister der Vergangenheit zu studieren. Besonders diejenigen, deren Werke die Kunstgeschichte der Welt geprägt haben. Seit Beginn meiner künstlerischen Laufbahn waren dies vor allem Constantin Brancusi, Hans Arp, Lucio Fontana und andere Vertreter dieser Richtung, welche die Reinheit und Einfachheit der Formen sowie die Wechselwirkung von Raum und Licht vertreten. Diese Elemente bestimmen meine ästhetisch-kreative Intuition.

 

GH: Sehen Sie ihre Skulpturen lieber in künstlicher Beleuchtung oder im wechselnden Tageslicht?

 

LS: Beide Lichtverhältnisse können interessant sein. Es hängt auch vom Material ab, von den Formen und Dimensionen. Nicht zuletzt von der Interaktion mit der Natur und dem sie umgebenden Strahlungslicht, welches sich im Tagesablauf ständig ändert. In Innenräumen ist künstliches Licht unverzichtbar, um die Bedeutung und die geistige Dimension eines Werkes in all seinen Aspekten zu zeigen. Vergessen Sie nicht, dass es einzig mit dem Licht möglich ist, die plastischen Formen meiner Arbeiten darzustellen.

 

GH: Ihre Autobiografie „Ein Leben für die Kunst“ (Una Vita per l'Arte) erschien 2015. Was kommt danach?

 

LS: In jedem Moment meiner Existenz versuche ich professionell ein innovatives Zeichen zu setzen, anders als in den vorhergegangenen und mit einer neuen Botschaft und Intuition. Wollte man dies in einem Wort zusammenfassen, müsste man von einer Art Rhythmus sprechen. Darüber müsste ich nachdenken und mir dafür Zeit nehmen. Im Moment kann ich das noch nicht entscheiden, tut mir leid.

 

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